Mein Vater, meine Mutter und ich 2008, einen Monat vor dem Tode meines Vaters
Heute ist ein besonderer Tag für mich.
Es ist der 19. September und heute vor 12 Jahren ist mein Vater von uns gegangen. Viel zu früh, nach der heutigen Lebenserwartung, im Alter von 66 Jahren.
Es war sein großes Lebensziel für seine Familie zu sorgen, ihr Sicherheit und auch ein Eigenheim zu bieten und darüber hinaus dieses noch so schnell wie möglich abzubezahlen. So arbeitete er emsig Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr - auch Extraschichten, um sein Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Seine Gesundheit ließ er dabei leider außer Acht. So erreichte er sein Ziel sehr schnell schuldenfrei zu werden, doch bezahlte dieses mit einem weitaus höheren Preis - mit seinem Leben. Die letzten Arbeitsjahre vor der Rente, auf die er sich so sehr freute, waren eine reine Qual für ihn. Aber er ging trotzdem, wenn es irgendwie ging, weiter zur Arbeit. Seine langersehnte Rente konnte er gerademal ein Jahr lang erleben.
Heute bin ich hier in der Toskana. An einem Platz, an dem ich ohne meinen Vater nicht wäre. Nicht nur aus biologischer Sichtweise, sondern unweit von hier verbrachte ich zusammen mit meiner Familie als kleines Kind 13 Jahre in Folge meinen Urlaub. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich kenne und liebe diese Gegend, wahrscheinlich auch wegen meiner Kindheitserinnerungen, und bestimmt deshalb zog es mich dann Jahre später auch hier zusammen mit meiner Lebenspartnerin Janet wieder her. Damals, auf der Durchreise zu einem weiter südlich gelegenen Ort, wollte ich ihr zeigen, wo ich als kleiner Junge immer meine Urlaube verbracht habe. Da meine Familie mit Wein rein gar nichts am Hut hatte, war die Lage der Urlaubsdestination inmitten in einem der besten Weinanbaugebiete der Welt damals für sie wohl nicht relevant, und für mich als Kind und Teenager gott sei Dank auch nicht :-). Ich staunte jedenfalls nicht schlecht als ich mich zusammen mit Janet, beide als große Weinliebhaber, uns vor ein paar Jahren meinem Kindheits-Urlaubsort näherte und die Lage des Urlaubsortes realisierten. Dort war sie, die wohl bekannteste Zypressenallee der Welt, die direkt zum „Weinmekka“ Bolgheri führte, gerade einmal 5km von meinem Kindheits-Urlaubsort entfernt. Die umliegenden Weinberge laden geradezu zu kurzen und auch ausgedehnten Fahrradausfahrten ein, einer weiteren großen Leidenschaft, und so fahre ich nahezu jeden Morgen nach dem Aufstehen die Zypressenallee nach Bolgheri, drehe eine Runde durch den gerade erwachenden und touristenleeren Ort, lausche den Gesprächen der einheimischen Dorfältesten, die sich auf einer Piazza versammeln, atme die morgendliche, frische und mit Pinienduft versehene toskanische Luft ein, und setze dann meinen Weg nach Hause durch die Weinberge fort, um zu Frühstücken. Herrlich. Göttergleich!
Heute früh war auf dieser Runde Janet mit dabei und es passierte etwas einzigartiges, das den Ehrentag meines Vaters noch besonderer machen sollte. Hier ist gerade Weinlese. Wir waren wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um diese beobachten zu können. So hielten wir während unserer Ausfahrt mit unseren Rädern am Zaun eines Weingutes an und schauten bei den Erntetätigkeiten zu. Wir kamen mit einem freundlichen Weinbauern ins Gespräch, der uns eine zu unserer großen Freude eine Weinrebe schenkte. Wir waren sehr verblüfft und nahmen das Geschenk dankend an. Es war eine Rebe des Weingutes „Guado al Tasso“, die normalerweise in eine Flasche wandert, die über 100€ kostet. Wir wussten also das Geschenk sehr zu schätzen, zumal auch noch andere Beobachter am Zaun standen. Als wir zuhause ankamen haben wir die Rebe in unser Frühstück mit eingearbeitet, und Biss für Biss genossen. Ein Frühstück, an das wir uns noch lange erinnern werden – genauso wie an meinen Vater. Das dieses Ereignis an seinem Ehrentag passierte, macht es noch besonderer.
Ich sehe diese wiederkehrenden „Todestage“ nicht als Trauertage, sondern ich feiere das Leben des Menschen und das, was ihn ausgezeichnet hat, wofür ich ihm dankbar bin. Janet hat mir meine Gedanken heute noch weiter geöffnet (danke dafür, Janet!) indem sie mich fragte, was ich denn von meinem Vater gelernt habe. Ich benötigte dafür Zeit darüber nachzudenken. Mein Vater war zwar immer für seine Familie da, doch habe ich als Kind relativ wenig Zeit mit ihm verbracht. Durch seine stark eingeschränkte Gesundheit hat mein Vater auch wenig an physischen Aktivitäten mit mir unternommen. Deshalb konnte ich Janets Frage wohl nicht spontan beantworten, da von meinem ersten Gedanken her die klassische väterliche Vorbild-Funktion nicht passte. Trotzdem konnte ich mir keinen besseren Vater wünschen und bin ihm für alles, was er für meine Familie und für mich gemacht hat, sehr dankbar.
Nach einiger Zeit der Reflektion fiel es mir dann wie Schuppen von meinen Augen, was ich von ihm gelernt habe, bzw. weshalb ich zu ihm doch als väterliches Vorbild aufschaue:
Vater, es ist deine Beharrlichkeit und Ausdauer für das Erreichen deines gesetzten Ziels.
Das hast du Tag für Tag vorgelebt!
Auch der Wert des eigenen Wortes, dein Versprechen, das du anderen, aber auch sich selbst gegenüber gabst, stelltest du nie in Frage.
Vater, dafür schaue ich zu dir besonders auf!
Auch werde ich durch deine Lebensgeschichte auf meine Gesundheit achten und sie mit dem was in meiner Macht steht pflegen, damit ich nicht die gleichen Fehler mache, die du einst begangen hast. Das würdest du niemals für deinen Sohn wollen, denn Väter sind auch dafür da ihre Kinder dazu zu inspirieren, ihre selbst gemachten Fehler nicht mehr zu wiederholen.
Ich liebe dich, Papa!
Mein Vater war schon vorher für mich ein Held. Jetzt, nachdem ich durch die Inspiration von Janets Frage, noch tiefer in mich gegangen bin, und meine Beziehung mit meinem Vater durch meine heutigen Augen und Gedanken nochmals reflektiert habe, hat sich heute meine Beziehung zu ihm noch mehr vertieft und das, obwohl er nicht mehr am Leben ist. Bis zum heutigen Tage war ich nicht in der Lage, diese beiden oben genannten Qualitäten meines Vaters, und weshalb er für mich ein Vorbild ist, so zu formulieren. Diese Werte werde ich weitertragen, zusätzlich inspiriert durch ihn als Vorbild.
Nun zurück zur Überschrift des heutigen Blogs:
„Zu wem möchtest du werden?“
Wenn ich mir diese Frage selbst stelle, so möchte ich ein guter (Stief)vater sein, und das vorzugsweise zu Lebzeiten.
Ich möchte Vorbild dafür sein, dass man nahezu jedes gesteckte Ziel erreichen kann, wenn man Beharrlichkeit und Ausdauer in der Umsetzung zeigt, zu seinem Wort steht, sowohl zu anderen, als auch zu sich selbst gegenüber, und täglich bereit ist zu lernen und dadurch zu wachsen. Ich vergleiche mich bei meinem Fortschritt nicht mit anderen, sondern nur mit der Person, die ich gestern war.
Nun, wer sind deine Vorbilder und zu wem möchtest DU werden?
Janet und mein Vater.
Erlebnis heute in den Weinbergen